Fachbereich 3

Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik


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Wegweiser der Moderne

Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung

Mittwoch, dem 19. März 2003 (S. 22)

Prof. Hartmuth Kinzler sprach über Adornos Bach-Bild

Von Christine Adam

Prof. i.R. Dr. H. Kinzler

Johann Sebastian Bach als ein Moderner, als Aufklärer, ja gar als Zeitgenosse - diese Einschätzung Theodor W. Adornos untersuchte der Osnabrücker Musikwissenschaftler Prof. Hartmuth Kinzler im Rahmen der Osnabrücker Kammermusiktage. Sein Vortrag „Theodor W. Adornos Bach-Bild“ im Schloss richtete sich an Musikkenner der höheren Semester, also jene Klientel, die den harten Kern des Kammermusiktage-Publikums ausmacht. Dem wissenschaftsferneren Musikliebhaber dürfte der Schädel geraucht haben nach dem Geschwindmarsch Kinzlers und seines assistierenden Kollegen Manfred Golbeck zwischen Klavier, Overheadprojektor, sprachlich vertrackten Adorno-Zitaten und Glen Goulds Fugenanalysen aus dem Videoapparat.

Das Bach-Bild einer der intellektuellen Leitfiguren der 68er-Bewegung entwickelte Kinzler unter anderem aus drei größeren Texten Denn ein veritables Bach-Buch neben seinem Schönberg-Buch Philosophie der neuen Musik', seinem Mahler-Buch, seinem fragmentarischen Beethoven-Buch mit dem Titel „Philosophie der Musik“ sowie einem Werk über Alban Berg und dem „Versuch über Wagner“ habe Adorno nicht geschrieben. Weil ein Autor umso schwerer zu verstehen sei, je weiter er von den geschichtsphilosophischen Voraussetzungen der Gegenwart entfernt sei, so begründete dies der Frankfurter Gelehrte selbst, der sich mehr als Musiker denn als Soziologe verstand.

Da sich Adorno dennoch ans Werk gemacht hat, die Modernität Bachs zu beweisen, stellte Kinzler dessen Artikel für die Berliner Vossische Zeitung von 1934 in den Mittelpunkt seiner Ausführungen: eine detaillierte Analyse der cis-Moll-Fuge aus dem „Wohltemperierten Klavier“. Er ließ also einen gewichtigen Experten zu Wort kommen, der den gewaltigen musikhistorischen , Schritt des Festivals von Bach zur auf Bach bezogenen Gegenwartskomponistin Sofia Gubaidulina gleichsam 1,egitimierte. Und hatte doch auch Profundes einzuwenden gegen so manche allzu pauschale Modernitätsthese des Denkers.

Am Klavier führte der Musikwissenschaftler vor Ohren“, was Adorno mit „expansiver Kraft, den größten Orgelfugen ebenbürtig in Bezug auf die cis-Moll-Fuge meinte, was mit seinem Lob der kontrapunktischen Disziplin, der Dichte der Komposition und nicht zuletzt der vollen Sanglichkeit und Ausdrucksstärke, die doch erst der Zeit nach Bach, also einem Mozart, zugestanden wird. Abschnitt für Abschnitt „testete“ Kinzler am Klavier die von Adorno behauptete Selbstständigkeit der Stimmen, die Dynamik ihrer zehnfachen Engführung oder andere Kunstgriffe, die als Beleg für Bachs zukunftsweisende und nicht, wie oft behauptet archaisch-mittelalterliche“ Handschrift gelten können.“